In den letzten Jahrhunderten, in denen schon immer kleine und große Bauwerke errichtet worden sind, hat sich die Art und Weise der Errichtung von Bauwerken aufgrund des technischen Wandels rasant entwickelt. Trotzdem handelt es sich bei den heutigen Bauvorhaben in der Regel immer noch um klassische Einzelproduktionen. Dabei hat sich aufgrund der Größe der Projekte, der arbeitsteiligen Aufteilung der Leistung in verschiedenste Gewerke, welche zudem oft in ihrem Ablauf ineinandergreifen und voneinander abhängig sind, die Komplexität der Bauprojekte ebenso rasant entwickelt.
Hinzu kommt, dass sich die Bauindustrie, aber auch die Baunebengewerke in den letzten Jahren einen Preiskampf geliefert haben, welcher dazu geführt hat, dass Projekte nur noch dann gewinnbringend abgeschlossen werden können, wenn das Projekt in allen Bereichen kostenoptimal abgewickelt wird.
Störungen sind in der Praxis alltäglich
Leider zeigt die Praxis, dass genau dies immer häufiger nicht gelingt, weil insbesondere die größten variablen Kostenblöcke, die Personal und Gerätevorhaltekosten bei vielen Projekten überschritten werden. Der enorme Kosten- und Wettbewerbsdruck und die Tatsache, dass fast jedes Projekt ein Unikat ist, führen bei der Kalkulation der Projekte dazu, dass in der Kalkulation fast immer von einem optimalen Bauablauf ausgegangen wird. Die Praxis bei der Abwicklung des Projektes zeigt allerdings, dass es eine Vielzahl von Störungen im Bauablauf gibt, sodass die einzusetzenden Ressourcen nur eingeschränkt produktiv sind oder bei Stillstand gar nicht eingesetzt werden können und somit Kosten verursacht werden, welche in der Kalkulation nicht berücksichtigt worden sind.
In der Praxis sind die Störungen des Bauablaufes grundsätzlich verursachungsgerecht zu unterscheiden, nämlich in:
- Ursachen, welche vom Auftragnehmer (AN) selber zu vertreten sind,
- Ursachen, welche vom Auftraggeber (AG) zu vertreten sind,
und
- neutrale Ursachen, welche weder vom AG oder vom AN zu vertreten sind.
Typische Ursachen für Bauablaufstörungen
Nachfolgend ist eine Auflistung von typischen Ursachen aufgeführt, welche den jeweiligen Verantwortlichkeiten zugeordnet worden sind.
Ursachen, welche der AN selber zu vertreten hat, können z.B. sein:
- verspäteter Baubeginn, welcher durch den AN zu vertreten ist.
- ungenügende eigene Kapazitäten an Material, Personal, Maschinen und Geräten.
- Störungen, welche von Nachunternehmern des AN verursacht werden.
- Fehlerhafte Arbeitsvorbereitung.
- Fehlerhafte Einschätzung des Bauablaufs.
Ursachen, welche der AG zu vertreten hat, können z.B. sein:
- Verspäte Erlangung der Baugenehmigung.
- Verzögerungen aufgrund von unzureichender Erfüllung von Mitwirkungspflichten.
- Verzögerungen aufgrund von fehlenden Entscheidungen.
- Nicht eindeutige und erschöpfende oder fehlerhafte Bau- und Leistungsbeschreibungen.
- Verspätete Bereitstellung von Planungsunterlagen.
- Planungsänderungen während der Bauausführung.
- Fehlende vertraglich vereinbarte Vorleistungen.
- Anordnungen von Leistungsänderungen.
- Anordnung von zusätzlichen Leistungen.
- Behinderungen und Bauablaufstörungen, welche von Vorunternehmern des Auftraggebers verursacht worden sind.
- Witterungseinflüsse, mit denen bei Abgabe des Angebotes nicht gerechnet werden konnte.
Darüber hinaus gibt es aber auch Ursachen, welche weder vom AN noch vom AG zu vertreten sind:
- Streik und Aussperrungen.
- Höhere Gewalt.
Konsequenzen von Bauablaufstörungen
Je nach Zuordnung der Verursachung der Bauablaufstörung leiten sich in der Folge die entsprechenden Ansprüche aus Bauablaufstörungen ab, welche beispielsweise folgende Konsequenzen nach sich ziehen können:
- zeitliche Auswirkungen:
- Verlangsamung,
- Unterbrechung,
- Beschleunigung,
- Bauzeitverlängerungen.
- ablauftechnische Auswirkungen:
- Ablaufumstellungen,
- Materialumstellungen.
- Mehrkosten:
- Verlängerter Einsatz,
- Störungsbedingte Produktivitätsminderungen,
- Ständiger Wechsel der Arbeitsplätze der Mitarbeiter auf der Baustelle,
- Zusätzliche Räum und Sicherungskosten,
- Überstunden und Nachtarbeit.
- Konventionalstrafen:
- Schadensersatz aufgrund verspäteter Fertigstellung.
Professionelles Änderungsmanagement erforderlich
Wegen der daraus entstehenden Auswirkungen für alle am Projekt Beteiligten, sollten alle Parteien durch geeignete Maßnahmen versuchen, Bauablaufstörungen zu vermeiden. Falls sich Bauablaufstörungen jedoch nicht vermeiden lassen, ist ein professionelles Änderungsmanagement in der Folge der Bauablaufstörungen erforderlich.
Dabei sollte zunächst versucht werden, durch vorausschauendes Handeln die Auswirkungen der Bauablaufstörungen zu minimieren und mit einer realistischen Einschätzung der Auswirkungen der Bauablaufstörungen eine einvernehmliche Verständigung mit allen Beteiligten zu erzielen.
Dabei ist es oftmals sinnvoll, wenn ein unparteilicher Sachverständiger eingeschaltet wird, um eine rasche Einigung zwischen den Parteien zu erzielen.
Falls dieses nicht gelingt, sind die einzelnen Bauablaufstörungen jeweils isoliert zu betrachten und zu bewerten. Der BHG hat in seinem Urteil vom 21.03.202 erstmals die Anforderungen an die Nachweisführung bei Bauablaufstörungen definiert und inzwischen durch weitere Urteile untermauert. Ebenso sind die in der VOB/B definierten Anspruchsvoraussetzungen einzuhalten.
Aufgaben des Sachverständigen
In dem Standardwerk „Bauverzögerungen und Leistungsänderungen“ von Vygen, Schubert und Lang sind die erforderlichen Arbeitsschritte zur Darstellung der Bauablaufstörungen sehr anschaulich definiert:
- Bezeichnung der Verzögerung (n),
- Sachverhaltsdarstellung,
- Schriftverkehrsauswertung,
- Bewertung des Sachverhaltes (nur Fakten und nur den Kenntnisstand bis zu der Behinderung betrachten),
- Berechnung der ansetzbaren Verzögerungsdauer,
- Modifizierungen im Soll(n-1)-Terminplan / Erstellung des Soll(n)-Terminplans,
- Gegenüberstellung Soll(n-1)-Terminplan mit dem Soll(n)-Terminplan,
- Gegenüberstellung Soll(n)-Terminplan mit dem Ist-Terminplan,
- Bewertung der Verzögerung und des Pufferkontos unter Beachtung des kritischen Weges.
Die Beurteilung und Bewertung der Ursachen und Auswirkungen bei Bauablaufstörungen gehört, insbesondere im Hinblick auf die immer anspruchsvolleren Bauvorhaben, zu den komplexesten Aufgaben, welche in dem Bereich der baubetrieblichen Themenfelder zu bearbeiten sind. Um dieser Aufgabe gerecht werden, ist die Hinzuziehung von entsprechenden unabhängigen Sachverständigen dringend zu empfehlen. Oftmals ist es auch sinnvoll, diese bereits sehr frühzeitig hinzuzuziehen und das Know-how dieser Spezialisten zu nutzen, um das jeweilig Projekt erfolgreich abzuschließen. Darüber hinaus kann ein vereidigter Sachverständiger schon im Vorfeld eine unabhängige Beweissicherung vornehmen, sodass weitere Verzögerungen minimiert werden können.
Hierzu steht Ihnen der öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige selbst, sowie die Experten des Ingenieur- und Sachverständigenbüros Anger gerne zur Verfügung.